Gedichte von Armin Dreyer

(2023 / 2024) Alle Rechte bei Armin Dreyer

Festgeeist

Der junge Mann auf der Straße –

festgeeist auf Asphalt,

die Hand vor sein Lächeln gestreckt,

das schnell verglimmt, wenn die Leute

schnellen Schrittes weiter gehen.

Ich krame in der Tasche,

„finde nichts.“

Zu Hause wünsche ich mir 100 Euro gegeben zu haben.

Doch zu spät. Bis morgen.

Wenn er dann noch lebt.

Gitarre

Er saß in seinem Zimmer,

das starrte vor Dreck,

und er spielte sich auf seiner Gitarre ein.

Da kam der Appell zum Abendessen.

Welch eine krude Unterbrechung!

Heutzutage putzt er den ganzen Tag.

Er spielt keine Gitarre mehr

wegen seines Studiums und all den Praktika,

aber er frisst und frisst –

ohne Pause -,

frisst den alten Zeiten nach

als er noch in seinem Zimmer saß,

das starrte vor Dreck.

Jenseits all dessen ich

Viele schöne Momente in mir!

Es tummeln sich lachend Leute,

führen Kunststücke auf, jonglieren,

fahren Einrad.

Alles im fahlen Licht der Vergangenheit.

Und jenseits all dessen ich –

Zusammengesackt im Dunkeln, weinend –

alleine!

Am Tag meines Selbstmordes

Zorn über die Schulzeit!

Eingesperrt und bevormundet,

gequält und verglichen!

Man warf mir Müll nach,

zerkratzte meine Augen,

trat mir das Knie in die Hoden!

„Du Müllmann!“ lachten sie.

Am Tag meines Selbstmordes,

als mein bester Freund sich verpisste,

nahm ich Kontakt auf zu Gott –

ein letztes mal!

K.O.

Mein Absturz!

Vom braven Buben

in die Drogenszene,

in die Politik,

in die Promiskuität.

Verschwörung der Verschmitzten.
Der Kasper, der ist wieder da!

Öffne die Bierflasche

An des Vaters Klavier

Und breche eine Ecke ab.

Kotze ins Zimmer.

Nehme die K.O.-Tropfen

die man mir verabreichte.

Auf jeden Fall in Gottes Gnade

Als ich noch ein Kind war,

sah ich nichts Kindliches an mir!

Ich war frühreif altklug und durchtrieben.

Ich rebellierte ohne Plan zu haben,

schöpfte ihn nicht aus, den Raum der Möglichkeiten.

Doch ich war nur ein Kind

und ahnte nichts,

vor allem nicht vom Moment, in dem ich lebte,

wenn man es so sagen kann.

Was bedeutete er? Was tat ich? Und warum?

Ich war eben doch nicht so cool,

nur in Gottes Gnade – das ja -,

auf jeden Fall!

Meine Zauberschrift

Der Blödsinn, den ich schrieb –

Tag für Tag -,

in mein Tagebuch -,

all das, was ich irgendwann zerriss -,

es hatte den Sound der Welt in sich,

das Zwitschern der Vögel

und die dröhnenden Bässe in den Autos.

Das geschwätzige Raunen in den Bahnhöfen.

Es war meine Zauberschrift –

undeutlich, damit niemand spionieren konnte.

Eine psychotische Sauklaue,

durcheinander und chaotisch.

Diese Schrift leuchtete und hatte Seele in sich,

bis jemand  das Feuer auslöschte –

die mit den Maschinen und Techniken,

die mit der moralischen Unmenschlichkeit,

die die alles hören und nichts verstehen -,

schändeten es mir, alles,

jede Sekunde –

bis zu dem Tag an dem ich den Polizisten anschrie,

und als er mir sagte: „Ich lasse Sie einsperren,

dort wo Sie so schnell nicht mehr wieder rauskommen!“

Am Gartenzaun

Der einbeinige Alte

in seinem Garten,

von uns Kindern gehänselt

aufgrund seiner Behinderung,

humpelte uns wütend hinterher.

Und brach zusammen über dem Gartenzaun.

Mir saß der Schreck in den Gliedern!

Was für bescheuerte Freunde ich hatte!

Später dann war ich Heilpädagoge,

oder auch nicht,

doch nie vergesse ich den armen einbeinigen Mann!

Akzeptanz

Ich will mein Leben vervollständigen,

den Bogen schlagen von jetzt bis in meine Kindheit,

über die Jugend und zurück.

Da hilft nur eines: Meine Eltern!

Mama, Papa, Hilke, und alle, die später kamen

und wie Mütter für mich waren.

Aber vor allem meine wahre Mutter –

die einzige echte,

die mich getragen und gesäugt hat,

die mich die meiste Zeit am Wickel hatte,

und in deren Gegenwart ich voll aufging.

Gesegnet sei sie!

Ich hoffe, dass Gott sie aufnimmt

in seinem Engelreich.

Ein Engel war sie,

wenn auch ab und zu mit Hass auf Minderheiten.

Mich jedenfalls hat sie am Ende doch noch akzeptiert –

Ihren bi- und transsexuellen Sohn!

Kommende Generationen

Dieser entsetzliche Kopfschmerz –

wie Schüsse in der Nacht.

Wenn du in Betten rotierst.

Flugschneise und Autobahnen,

ratternde Züge in deinem Gedächtnis.

Wo führt Krankheit hin?

Was soll sie mir sagen?

Wenn ich die Augen schließe,

dann spüre ich Wehmut,

aber ich spüre auch Zuversicht

durch das Vorhandensein kommender Generationen,

die unseren Platz einnehmen,

einfach dadurch, dass sie Menschen sind,

Suchende wie wir es waren.

Sie sitzen auf den Stufen,

und mir fällt dir Last ab.

Ich gehe leicht und beschwingt

in die Welt meiner Aufgaben.

Nichts trübt meine Sicht.

Ich gehe den Weg.

Wo du nicht da bist

Was soll ich mir dir anfangen, wo du nicht da bist?

Ich kann dich immer noch sehen!

ich kann dich fühlen

und schmecken.

Kann mich lebhaft an dich erinnern,

an die Liebe, die über mich kam.

Was soll ich mit dir anfangen, wo du nicht da bist?

Ich kann dir Gedichte widmen,

Mix-CD´s machen bis zum Umfallen,

und sie dir widmen.

Ich kann allen erzählen, was ich für dich empfinde,

dass ich mir Hoffnungen mache

und wie cool du bist

mit all deinen Tätowierungen!

Was soll ich mit dir anfangen wo du nicht da bist?

Ich kann auf dich warten,

und deinen Namen beständig flüstern.

An Orte gehen und deine Gegenwart erhoffen –

Orte, an die mich sonst nichts treiben würde -,

raus aus der Komfortzone, rein in die Angst.

Witterung

Den ganzen Tag über weißem Papier verbracht

fange ich abends zu Schreiben an!

Abends, wenn ich weiß, dass es

eigentlich schon zu spät ist,

mache ich sozusagen Überstunden.

Falle in die Nacht und damit in den neuen Tag.

Begrüße das Wunder des Lebens persönlich,

erblicke die Morgensonne,

nehme Witterung auf.

Mach dir keine Sorgen!

Unsere Geschichte

Ich liebe dich –

dabei kenne ich dich nicht mal!

Nur weil du Interesse zeigtest,

und ich eine Vermutung über dich habe,

dich anziehend finde,

schwärme und träume ich nun,

einsam, vergebens, kläglich.

Wir werden uns wiedersehne, schneller als mir lieb ist.

Dann kommt die Wahrheit ans Licht,

die Wahrheit, die ich nicht sehen möchte.

Dass es schwieriger ist als in meinen Träumen,

dass du ein realer Mensch bist.

Doch ich gebe unserer Geschichte eine Chance.

Sie darf unruhig verlaufen.

Sie darf holpern

und schmerzen,

solange sie wahr ist –

von dem Gefühl getragen,

das ich jetzt gerade habe!

Bäume

Es ist heute die selbe Welt

in der ich gestern spazierte.

Die Bäume sind nur gewachsen!

Mein Blick reckt sich höher und höher!

Einige Bäume – von Stürmen umgeknickt,

andere gefällt, fehlen mir.

In die Irre

Wie gut, dass du einsam warst

wo nur Idioten waren.

Denn sonst hätte es eine Zweisamkeit gegeben

mit dir und einem Idioten!

Wie gut, dass du arbeitslos warst,

wo es nur Ausbeuter um dich gab.

Sonst hättest du nur gelitten in einem Job,

wärst wie ein Hamster im Rad gewesen.

Wie gut, das dir nichts einfiel,

wo du das falsche Weltbild hattest,

denn sonst hättest du wahre Kunst geschaffen,

aber Menschen in die Irre geführt.

Hör dir nur an, was Andere erzählen

über ihr Leben –

Andere, die alles haben -,

ob sie glücklich sind!

Sommernächte

Ich hätte gerne Urlaub!

Dann hätte ich Inspiration!

Mit dir,

in der Zeit zurück,

als meine Eltern noch lebten,

und deine,

als Videos noch nicht mit dem Handy aufgenommen wurden,

und Krankheiten noch irgendwann heilten!

Ich wäre gerne mit dem Notizbuch draußen

statt in meiner Bude –

in Zeiten, in denen es nicht so kalt ist

und nicht so viel regnet oder schneit –,

dann würde ich laue Sommernächte aufsaugen

und auf Papier festhalten.

Landschaft

Immer mit der Ruhe,

du Ruhiger!

Bist es schon,

aber brauchst es noch!

Bist eine Landschaft jenseits des städtischen Treibens!

Man guckt in dich hinein

um abzuspannen.

Einige werfen ihren Müll in dich,

lassen ganze Müllbeutel da,

oder rufen: „Echooo!“,

was nur die Vögel aufschreckt.

Sie macht mich nervös,

ihre laut tönende Karawane –

all das Blitzlichtgewitter, das Gemurmel!

Die Hirsche verziehen sich ins Unterholz,

um unangenehme Begegnungen zu vermeiden,

mit der Krone der Schöpfung.

Wie ein Reh

„Du bist zu schüchtern!“, sagen sie zu mir

und meinen: „Scheu wie ein Reh!“

Doch wenn ich schon das Reh sein muss,

bin ich lieber scheu als zahm.

Lieber voll der wilden Instinkte,

lieber abtrünnig auf der Flucht vor ihnen

als neugierig und unvorsichtig.

Ich fresse ihnen nicht aus der Hand,

lasse sie mich nicht nachäffen

und begrapschen am Zaun,

der ihre und meine Welt

letztendlich immerzu trennt.

Abbilden

Konkrete Energie,

ganz ohne Gedankengänge.

Nur vorhandenes abbilden,

alles was um mich er ist:

Die Tiere im Zoo,

das Eis in der Hand des Kleinen,

das Abendessen – vegetarisch -,

der Lärm aus meinen Boxen,

die Zimmertür, die sich schließt,

Füße, die auf und ab gehen im Raum,

Kälte des Bodens,

Fenster mit Sichtschutz und trübes Licht,

dein Lächeln in meinem Gedächtnis,

das Klicken in der Leitung.

Auf der Bühne

Ich stehe auf der Bühne –

nicht nervös, sondern

friedfertig wie immer.

Gehe um mit der Menge

wie ich will, dass sie mit mir umgeht.

-helfe –

Trage vor was mir was wert ist.

Mache jeden Zuschauer groß!

Spüre wie ihre Liebe mich trägt.

Say: „hey ho!

Ich liebe euch!

Danke, Stadt!

Danke Land!

Danke Kontinent!“

Der Shit-Appel

Meuterei im Vernichtungslager –

vereinbart, angeleiert und wieder eingeschlafen.

Fühle mich ein weiteres mal vom Dasein verarscht!

Gehe auf und ab im Trakt

und hoffe, dass ich nicht vom Haar durchbohrt werde,

dass hier frei herumschwebt.

Es fallen Brocken von mir ab,

denn ich bin aus Erde.

Ich bin der shit-appel,

du der Fickaffe.

Verlasse deine Zelle,

um in eine noch schlimmere zu geraten.

Dort fickt er meine Augen.

Ich sehe nur noch Sterne.

Bin die Frau, die als Frau keiner ernst nimmt,

weil darauf Frau angeblich steht.

Um mich herum Schilder,

die sagen was ihr fühlt und meint.

Sie sind das Höchstmaß eurer Gefühle!

Und über mir duscht ein Opferlamm.

Ich, der Missetäter,

nehme dir nachts die Organe raus!

Meine Gefühle

„Schöne Weihnachten dir!“ sagte ich am Telefon.

„Ach Quatsch, red doch nicht so einen Blödsinn!“ sagtest du.

Du hast Corona, bist alleine

und hast ein neues künstliches Hüftgelenk,

und außerdem scheißt du sowieso auf alles und jeden,

wie man von dir weiß.

Ich muss unweigerlich lachen,

doch im Grunde verletzt es meine Gefühle –

meine freundschaftlichen, meine christlichen

und meine sentimentalen.

Der Mann am Bein

Der Mann, der dir am Bein hing

ward nicht mehr gesehen.

„Ich bin keiner von euch!“ hatte er gesagt.

„Was machst du dann noch bei uns?“, habe ich gefragt.

Der der mich streng überwachte,

mir alle verbot was ich tat,

und im Grunde recht hatte,

mit allem was er sagte –

er machte eine so jämmerliche Figur,

wie er so versuchte dich ein zu fangen –

wie ein Lasso ein Pferd.

Im lauen Sommerabend,

wo alles möglich schien,

versuchte er

sich eine wie dich von uns abzuzweigen,

sie aus der Szene heraus zu klauen –

obwohl er doch eigentlich wusste,

dass das nicht geht!

Verfolgt

„Sie haben uns verfolgt“, sagtest du, –

„und mit Flaschen beworfen.

In Essen-Steele,

in der Nacht.“

Ihr wärt dann, von Todesangst gepackt,

alle so schnell wie möglich gelaufen.

Aber sie konnten eines nicht:

Euch auseinandertreiben!

Nachbarskinder

Die Nachbarskinder spielen vor dem Fenster.

Sie erinnern mich an früher, an Kindheit an sich,

an meine.

Ich weiß noch wie wir vor den Garagen spielten,

und wie du auf die Knie gingst vor mir,

weil ich stärker war als du,

wie ich dir dann gegen den Kopf trat,

um dich ab zu strafen -,

wie die Mädchen dann sagten:

„Hör auf, er könnte eine Behinderung davon tragen!“

Ja, daran erinnern mich die Kinder da draußen,

und ich brülle hinaus:

„Seid leise! Seid endlich still!“

Warum?

Warum habe ich so viel gesoffen?

Warum habe ich so viel gekifft?

Warum mussten sie mich regelmäßig aufklauben

und wegkarren?

Warum war ich so abgefuckt

und stach hervor durch verrücktes Verhalten

im Vollrausch?

Vielleicht deswegen, weil ich zu Frieden sein wollte

mit meinen Freunden,

die doch gar nicht zu mir passten –

vielleicht weil sie mir den Stoff überhaupt anboten -,

und darum, weil ich einfach nur den Schmerz betäuben wollte,

den die ganze Lebenssituation in mir erzeugte.

Aber auch, weil ich es für etwas Gutes hielt

und als richtig und normal erachtete,

so wie man es oft sieht bei Menschen in meinem Alter.

Meine neue Freundin

Als meine neue Freundin mein Auto vollkotzte,

weil ihr von der Fahrt schlecht geworden war,

bekam ich einen Ekel

und war nicht mehr voll dabei.

Als sie auf dem Konzert mit einem Oben-ohne-Typen tanzte,

packte mich der Groll.

Vor einem großen Baum trennte ich mich von ihr!

Wir küssten uns ein letztes mal,

und es schmeckte nach Kotze

und roch nach Schweiß.

Malkurs

Ich trage gerade das frisch gemalte Bild

aus dem Malkurs nach Hause,

auf das ich besonders stolz bin.

Da kommt Gott mit einem Windhauch

und weht es mir hin und her,

so dass ich es nicht mehr retten kann.

Zuerst zerknickt es, dann zerreißt es,

dann fliegt es davon –

und es löst eine Glaubenskrise in mir aus.

Was hat Gott davon mir meine Freude am Malen kaputt zu machen?

Es dauert zehn Jahre bis ich wieder Vertrauen fasse,

und mir sage: „Irgendeinen Sinn wird es schon gehabt haben!

Ach wenn ich es immer noch nicht verstehe –

Dein Wille geschehe,

nicht meiner! –

Amen!“

Im Nebenzimmer

Wenn du morgens aufwachst

im Nebenzimmer,

ich dein Fußgestampfe höre,

dein Räuspern und Ächzen,

dann weiß ich schon was ich von dir halten soll,

dann bist du schon unten durch und hast verloren,

weil ich voll des Misstrauens bin,

weil der Film weitergeht,

und ich weiß, was heute wieder kommen wird!

Meist habe ich ja auch recht damit!

Ich kenne meine Pappenheimer!

Konfus

Noch 29 Minuten bis ich mich zum Schlafen ins Bett lege,

die fünft Decken über mich lege, damit mir nicht so verdammt kalt ist,

das Licht ausschalte, am besten nachdem ich schon die Augen geschlossen,

und von der Glühbirne weggeguckt habe.

Ich höre ein letztes Mal all die geile Musik

und dämmere weg mit Leichtigkeit,

hinein in luzide Träume

und Schlafparalysen.

Tränen peitschen meinen Rücken.

Ich fliege hin und her von ihren Hieben.

Das Sauwetter meiner Gefühle!

Morgen ist auch noch ein Tag, und  ich werde glücklich sein –

und nur am Abend so alleine -,

nur in der Nacht so konfus

wie ich eigentlich zu sein scheine!

Schleim

Es ist Mathematikklausur!

Ich bin erkältet und trotzdem anwesend.

Leider läuft mir Rotz aus der Nase,

und ich habe kein Taschentuch.

Ich bin noch ein Kind und sehr schüchtern!

Ich traue mich nicht nach einem Taschentuch zu fragen.

Ich ziehe wie verrückt den Schnodder zurück in die Nase,

kann mich nicht konzentrieren.

Keiner bemerkt mein Martyrium!

Sie schreiben alle auf ihre Blätter.

Ich höre nur die Kugelschreiber kritzeln.

Das passiert es: Das grüne Zeug aus meiner Nase

läuft auf die ganzen Formeln und Fragen,

in einem riesigen Schwall!

Es ertönt das Signal.

Ich gebe ein leeres Blatt ab,

dekoriert mit Schleim.

Das ist was ihr alle verdient:

Nicht mein Bestes,

nein –

Rotze, Schnodder, grünen Schleim.

Zimmernachbarn

Ich bin in der Psychiatrie,

habe einen Bettnachbarn.

Er redet im Schlaf, die ganze Nacht!

So zumindest meine Wahrnehmung,

der ich allerdings nicht trauen kann.

Trotzdem beschwere ich mich,

und erreiche es auch,

in ein anderes Zimmer versetzt zu werden.

Da redet mein Zimmernachbar auch im Schlaf,

die ganze Nacht –

noch viel schlimmer und lauter als der erste!

Wieder beschwere ich mich –

Dich diesmal muss ich im Zimmer bleiben.

„Das ist hier kein Hotel!“, sagen sie –

und es ist ja egal, denn seine Probleme

nimmt man ja doch nur immer mit sich mit!

David

Ich komme in die neue Schule.

Alle unterhalten sich längst, und ich bin immer noch alleine.

Schaue mich um, doch mein Blick prallt ab an den Mitschülern,

die hier herumwuseln,

ihre Räume suchen.

Da lacht mich auf einmal ein anderer Jugendlicher an!

Wir sehen uns gegenüber wie bei einem High Noon,

nur dass wir uns nicht mit Patronen erschießen,

sondern mit freudigen, lachenden Blicken!

Wir haben uns gefunden!

Schon gehen wir aufeinander zu,

und stellen uns mit Namen vor. Er heißt David.

„Suchst du einen Freund?“ fragen wir beide gleichzeitig

und müssen laut lachen.

Die ganze Schulzeit über sind wir beide unzertrennlich,

doch genauso schnell wie wir uns gefunden hatten,

haben wir uns wieder verloren,

und ich weiß nicht warum.

Waren stürmen

Im Einkaufszentrum sind viele Menschen,

die ich nicht erkennen kann.

Zu flüchtig sind die Begegnungen.

Ein Hund würde verrückt werden

unter so vielen anderen Hunden!

Ich stelle mir vor wie es wäre,

hätten wir ein anderes Bewusstsein –

ein Bewusstsein des Miteinanders.

Wir alle – eine große Familie -,

und ich fühle mich frei und geboren,

wo auch immer ich gehe und stehe.

Bis mich dann ein böser fremde rund kühler Blick

aus einer Blase herausreißt.

Ich bin hier nur Opfer eines Wahnsinns,

der heißt: Waren stürmen,

Waren kaufen,

fressen und verschwinden!

Mit Kisten auf den Rücken,

sehe ich sie zu ihren Autos zurückgehen.

Sie verschwinden in ihr zu Hause,

wo auch immer das sein mag.

Die Straße säumen schon die ersten Häuser,

und hinter jedem Fenster ein Augenpaar,

blinzelnd.

Trolle

Sich von Trollen nicht provozieren lassen.

Gelassen bleiben.

Voller Gemütsruhe antworten.

Bei Freunden nicht anders.

Wenn es mal schwierig wird

nicht ins Gelächter übergehen –

nichts wegwischen,

sondern drauf eingehen.

Sachlich. Nüchtern.

Total fokussiert.

Millennium

Die beiden Mädchen aus dem Selbstmordchat

sind bei mir, und das Millennium ist gekommen!

Höchste Zeit für unseren Plan!

Bambi hat einen Revolver dabei.

Nun wird alles in die Tat umgesetzt.

Ich setze Bambi den Lauf an die Schläfe.

Danach wäre Melanie dran, dann ich.

Wir wollen zusammen sterben, weil wir mit niemandem leben können.

So gibt es immer noch etwas Verbundenheit auf dieser Welt,

auch wenn es nur durch den Tod ist.

Leider kann ich gerade den Abzug nicht durchdrücken.

Ich weiß nicht was los ist.

Vielleicht ziehe ich den Schwanz ein –,

vielleicht habe ich echte Gefühle entwickelt -,

vielleicht will ich doch noch leben.

Oder sehe sie als Menschen: Bambi und Melanie.

Schweigend gehen wir auseinander.

Jeder für sich, mit seinen Gedanken.

Ich bin froh es nicht getan zu haben,

nicht zum Mörder geworden zu sein.

Freude

„Darf ich dich um etwas Kleingeld bitten?“

fragt sie mich an der Bushaltestelle.

„Alle ignorieren mich!“, fügt sie hinzu,

„außer so perverse Typen!“

Da ich sie letztes mal auch ignoriert hatte,

beschließe ich ihr diesmal Geld zu geben.

Ich krame in meinem Rucksack.

„Danke, dass du wenigstens schaust“, sagt sie.

Ich finde 2 Euro.

„Danke“ sagt sie, zieht weiter

und wird, wie ich sehe, tatsächlich von allen ignoriert.

Es tut mir Leid für sie,

und ich krame noch  einen 5-Euro-Schein heraus.

„Hallo“ rufe ich, „Ich will dir noch etwas geben,

da heute so kalt ist!“

Ich sage bewusst nicht, dass ich ihr das Geld aus Mitleid gebe –

finde einen äußeren Grund -,

denn ich will sie nicht noch trauriger machen.

„DANKE!“ ruft sie erstaunt – wie ein Kind, dem man

gerade Zuckerwatte gekauft hat.

Mit leuchtenden  Augen schaut sie auf den Geldschein.

Ich nehme ehrliche Freude bei ihr wahr.

Auf diese Weise, so denke ich, macht Geben Spaß.

Von ihrer Reaktion kriege ich viel zurück,

wahre Emotion, die 5 Euro aufwiegt.

Ich nehme mich als in der Fülle lebend wahr.

Erstaunt von meinem Geschenk

lässt die Frau mich an der Bushaltestelle zurück,

rennt schnell los, um sich irgendwas zu kaufen.

Nächstes mal, so denke ich, lade ich sie auf einen Tee ein,

und ich hoffe ihr klarmachen zu können,

dass ich nicht einer dieser perversen Typen bin.